Nächste Haltestelle Sehnsucht
![]() ie hatte die bezauberndsten schwarzen Augen, die ich je gesehen hatte, und je mehr und je schneller sie schrieb, um so mehr füllte sich der große Aschenbecher vor ihr mit herausgerissenen und zerknüllten Seiten aus ihrem Filofax. | ||
Kann ich mal Ihren Zucker haben?, fragte sie, als sie ihren Latte macchiato bekam, ohne dabei von ihrer offensichtlich alle Konzentration in Anspruch nehmenden Arbeit aufzusehen. |
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Klar, sagte ich, aber meiner ist das auch nicht. Der gehört der Kneipe. |
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Nun sah sie doch hoch und blickte mich von der Seite an. Komiker, wie?, fragte sie. |
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Nur dienstags. Den Rest der Woche bin ich immer traurig. |
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Dann ist das heute ja ein richtiger Glückstag für mich, erwiderte sie spöttisch. |
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Aber ja! Sie haben die einmalige Chance, mich kennenzulernen! |
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Und wenn ich das gar nicht will? |
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Dann werden Sie für den Rest Ihres Lebens nie erfahren, was Ihnen entgangen ist! |
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Nämlich? |
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Einer der charmantesten Männer der ganzen Stadt, der drittbeste Liebhaber nach Brad Pitt und Leonardo di Caprio und der sensibelste Tänzer seit Fred Astaire. Außerdem spiele ich Blockflöte, bin bibelfest, kann ein Tamagotchi bedienen, habe die Texte aller wichtigen Mireille-Mathieu-Songs drauf und war als Teenager sogar mal für drei Wochen Twist-König von Wilmersdorf-Süd. |
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Ich hatte sie zum Lachen gebracht, und das wollte schon was heißen, denn sie war eine jener Vertreterinnen ihres Geschlechts, die ein guter Bekannter als die modernen jungen Frauen von heute zu bezeichnen pflegte: diesseitig, selbstbewußt, schlagfertig und von genau jener coolen Attitüde, die zu erlangen unsereins noch zwei bis drei Jahrzehnte zum Teil schmerzhaftester Lebenserfahrung benötigt hatte, mit der ihre Generation hingegen schon auf die Welt gekommen zu sein schien. Und auch ihr äußeres Erscheinungsbild ließ keinen Zweifel, daß ich es nicht mit einer verhärmt-verhuschten Spitzenklöpplerin zu tun hatte, sondern einem jener ätherischen Lichtwesen, das die Männer umschwirren mußten wie die Motten den Bunsenbrenner: Schätzungsweise Mitte 30, umrahmten halblange schwarze Haare, die in wunderbarer Weise und sicherlich nicht zufällig mit der Kohlraben-Farbe ihrer Augen korrespondierten, ein Gesicht, das man in früheren Zeiten durchaus als engelhaft bezeichnet hätte. Unter ihrem schwarzen Pullover, der mit Sicherheit nicht vom Woole-Grabbeltisch stammte, zeichneten sich nicht übermäßig große, dafür jedoch ebenmäßig-formvollendete und allem Anschein nach feste Brüste ab. Ihr – logo – ebenfalls schwarzer Mini-Rock, der durch die Sitzhaltung noch einige Zentimeter weiter nach oben gerutscht war, forderte einen Blick auf ein Paar atemberaubend übereinandergeschlagener Beine nachgerade ein, wobei die schwarz schimmernden Strümpfe mit dem witzigen Schmetterlings-Muster und die dunklen Schaftstiefel mit den halsbrecherischen Plateau-Sohlen das Bild im Wortsinne nach unten abrundeten. |
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Jetzt, wo wir einmal ins Gespräch gekommen sind.... , nahm ich den Faden wieder auf. |
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Moment mal! Wir sind überhaupt nicht ins Gespräch gekommen! Sie wollen mir ein Gespräch aufdrängen, das ist ganz etwas Anderes! |
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Aber ich hab‘ erst neulich in der Zeitung gelesen, daß wir in einem kommunikativen Zeitalter leben, und vor drei Tagen haben sie das sogar in der ‚Tagesschau‘ gesagt! |
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Sie mußte, auch wenn es ihr offensichtlich gegen den Strich ging, erneut lachen. Sie scheinen wirklich ein Komiker zu sein, sagte sie, klappte den Filofax zu, schob ihn zur Seite, nahm das Handy vom Tisch, ließ es in ihre überdimensionale Donna-Karan-Tasche gleiten, drehte sich vollends zu mir herum und sah mir fest in die Augen. Gut, reden wir, sagte sie, also? |
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Mit einem lauten Rumms knallte irgendwo in weiter Ferne eine Tür unwiderruflich ins Schloß. Ich saß fest in der selbst gestellten Falle – aus der Schnodder-Attacke der großen Schnauze über dem schüchternen Kern, die mir im besten Fall im Nachhinein den masochistischen Lustgewinn eines Na ja, wär‘ aber auch zu schön gewesen beschert hätte, war unvermittelt blutiger Ernst geworden. Denn wo ich im Kino oder in der Literatur angesichts sich anbahnender Romanzen in einer banalen Umgebung nicht nur vor Ergriffenheit Rotz und Wasser und dicke Blasen heulen konnte, sondern auch und vor allem vor Selbstmitleid, da ich sicher war, daß so etwas eben nur Kino und Literatur war und allenfalls anderen, nie und nimmer hingegen im richtigen Leben und damit mir passieren könnte – da war ich nun so hilflos war wie ein Neugeborenes: Vermasselte ich es, konnte ich mich auch mit der ausgefeiltesten Dialektik nicht vor mir selbst herausreden, denn schließlich hatte ich meine Chance gehabt; ging es hingegen gut, dann wußte ich erst recht nicht weiter, denn daß die romantischen Vorstellungen meines – wie es meine zweitdienstälteste Freundin bisweilen nannte – filigranen Kopfes durch die Bank Cyber-Träume waren, die sich aus Brontë-Romanen und Rohmer-Streifen speisten und mit eben jenem richtigen Leben in etwa so kompatibel waren wie Madame de Tourvel mit Ulrike Fritzenkötter aus dem dritten Stock, wußte ich nicht erst seit gestern. Ich bin allein und hätte dich gern zur Freundin – gottverdammt nein, so ging es wirklich nicht. |
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Ähm, sagte ich, um erst noch mal ein paar Nanosekunden Zeit zu gewinnen. |
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Ähm? |
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Nun ja, äh..... |
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Was denn nun? Sie wollten doch mit mir reden. Reden Sie! Ich warte! |
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Ich kam mir vor wie ein zum Tode Verurteilter, der, nachdem alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, soeben erfahren hat, daß auch das Gnadengesuch abgelehnt worden war. Und auch, daß nun gerade Cindy, die brünette Kellnerin mit der Heidi-Klum-Figur, der Turmfrisur, die nur geringfügig niedriger war als das Chrysler-Building, dem Talmi-Piercing im Bauchnabel und dem violetten Schildkröten-Tattoo über der linken Augenbraue ihren strammen Arsch zu uns herüber schob, half mir nur bedingt weiter. |
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Sie wollten was essen? |
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Ja, sagte Prinzessin Plateau-Sohle, ich hätte gern die Champignon-Suppe mit den Krebsschwänzen. |
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Aber bitte mit zwei Strohhalmen, versuchte ich mich an den Strohhalm zu klammern, der sich mir bot. |
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Dürft‘s auch mit Schirmchen und Wunderkerze sein?, äffte Cindy, bist heute wieder in Hochform, was? |
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Sie sind öfter hier?, fragte Brikett-Auge, als Cindy wieder in Richtung Tresen abgetänzelt war, und hören Sie auf, den Clown zu machen, das zieht bei mir maximum zwei Minuten! |
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Ich werd‘ mein Bestes geben, sagte ich, ja, ich bin öfter hier. Ich hab‘ zwar eine schöne Wohnung, eine Arbeit, an der ich hänge, und zwar nur wenige, aber gute Freunden, doch fällt mir trotzdem dann und wann doch ein bißchen die Decke auf den Kopf. |
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Kenn‘ ich, sagte sie, geht mir manchmal auch so. |
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Leben Sie auch allein?, fiel ich nicht mit der Tür, sondern gleich mit dem ganzen Palast-Portal ins Haus. |
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Augenblick!, verwies sie mich mit jener schneidenden Kühle auf meine Ränge, wie sie sie sich die taffen Power-Frauen ihrer Art über Jahre hinweg antrainiert haben, so weit sind wir noch lange nicht! |
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Einspruch angenommen, streichen Sie die letzte Frage aus dem Protokoll! |
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Schon besser, aber können Sie auch anders reden als nur in Spruchblasen und Untertiteln? |
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Da muß ich erst mal mit meiner interseriellen Schnittstelle sprechen. |
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Wenn Sie nicht wollen, daß ich auf der Stelle aufstehe und gehe, dann hören Sie sofort auf damit! |
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Die Zeit, mich zu fragen, warum eine Frau wie sie nicht schon längst wirklich gegangen war, blieb mir nicht: Ich gab mir jenen Ruck, von dem Roman Herzog damals gesprochen, ihn vermutlich aber ganz anders gemeint hatte – eigentlich glaubte ich nicht, daß ich viel zu gewinnen hätte, aber zu verlieren hatte ich schon gar nichts. |
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Nichts lieber als das, sagte ich, das Problem ist nur: Wenn ich wirklich mal ernst werde, hört mir keiner mehr zu. Ehe der nachdenkliche Mensch nämlich auch nur einmal den Mund aufgemacht hat, haben ihn die Dampfplauderer schon dreimal über den Haufen geredet. |
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Überlegen Sie sich gut, was Sie sagen! |
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Wie? |
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Nun ja, Sie reden schließlich mit mir und sprechen von Dampfplauderern – da muß ich annehmen, daß Sie auch mich für eine Dampfplauderin halten, wie Sie das zu nennen belieben, konstatierte sie mit zwingender Logik. |
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Tut mir leid! |
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Das will ich hoffen! |
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Cindy schlurfte mit ihrem unverwechselbar-unnachahmlichen Wiege-Schritt, der, hätte sie hundert Jahre früher gelebt, jeder k. u. k.-Walzerschule zum Aushängeschild gereicht hätte, die Champignonsuppe heran. Strohhalm is‘ nich‘, Strohhalme sind aus, sagte sie und sah Engelsgesicht herausfordernd an: Soll‘s ’n zweiter Löffel sein? |
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Meinetwegen, antwortete Prinzessin und fügte, zu mir gewandt, hinzu: Aber wenn Sie schlürfen, gibt‘s was auf die Nuß! |
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Einträchtig löffelten wir die Suppe aus, die wir uns eingebrockt hatten. |
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Sie leben also allein?, nahm sie, als wir uns mit dampfenden Gesichtern von der leeren Terrine ab und wieder ungeteilt uns zuwandten, den Gedanken wieder auf und fragte, ehe ich noch hätte antworten können, eher sich selbst als mich: Sie wollten doch mit mir reden, wieso stelle eigentlich ich jetzt hier die Fragen? |
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Ich weiß es nicht, aber ich bin Ihnen dankbar dafür. |
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Da schau her, sagte sie belustigt, Herr Großmaul können ja auch ganz anders! |
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Sicher, wenn der Anlaß es wert ist! |
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Sie steckte das Kompliment so ungerührt weg, als hätte ich sie im Vorübergehen nach der Zeit gefragt. |
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Ja, ich lebe allein, fuhr ich fort, und wie Sie vorhin sozusagen second hand erfahren haben, bin ich des Öfteren auch hier. Es ist die Hoffnung, die mich auf die Straße treibt. |
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Wir kämen besser miteinander aus, wenn Sie sich nicht anhörten wie der neueste Roman, sagte sie von oben herab. Ich wußte, daß ich den Satz schon mal gehört hatte, aber nicht mehr, wo. Es war mir auch egal. |
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Ja, Hoffnung, – ich merkte, wie die Dämme, in die sie durch ihre kühle Überlegenheit schon deutlich sichtbare Risse getrieben hatte, vor dem Bersten standen – eine vielleicht illusorische, aber immer noch Hoffnung, irgendwann und irgendwo auf einen intelligenten Menschen zu treffen, auf einen gebildeten vielleicht sogar, auf irgend jemanden zu stoßen, der einem für eine halbe Stunde pro Jahr die Einsamkeit erträglicher macht, diese gottverdammte Einsamkeit, zu der man verurteilt ist, wenn man eine ganze Welt für sich im Kopf hat, aber niemanden, mit dem man sie teilen kann! |
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Es war raus, einfach so. Doch zu meiner Verwunderung kramte sie nicht wieder das Handy raus, um eine Freundin anzurufen, stand auch nicht auf, um zu gehen, schminkte sich auch nicht die Lippen und lachte nicht einmal, sondern fragte gleichmütig: Und was ist das für eine Welt? Ich meine, jenseits von Blockflöte, Tamagotchi und Mireille Mathieu? |
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Eine Welt, die auf festen Pfeilern steht. |
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Als da wären? |
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Meine Bücher, meine Platten, die Filme, die ich liebe, die Bilder, in denen ich mich geborgen fühle. |
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Okay, kann ich nachvollziehen. Aber: Was für Bücher, was für Filme, was für Platten und was für Bilder? |
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Ihr demonstratives Interesse begann mir langsam unheimlich zu werden. Was hatte sie vor? Eine wie sie, die nach allem, was man über ihre Generation wußte, auf der steten Suche nach Fun & Thrill & Action sein mußte, und einer wie ich, der sich vorzugsweise in den luftleeren Höhen von Intellekt und Schöngeisterei rumtrieb: Wollte sie mich verarschen? Und wenn ja: Auf welche Rolle wollte sie mich schieben? |
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Ich liebe russische Literatur, französische Malerei und italienische Opern, stellte ich mich dem Verhör, ich kann die ‚Duineser Elegien‘ seitenweise auswendig, hab‘ meine Wände vollgepflastert mit Repros von Ingres, Fragonard und Gauguin, vergeß‘ die Welt, wenn ich Turgenjew lese, und verzeihe der Callas wegen der Wahnsinns-Stimme sogar, daß sie in der ‚Habanera‘ bei ‚L‘ amourrrr est un oiseau rrrrrrebelle‘ das ‚r‘ so rollt wie Carolin Reiber in ‚Berrrrge‘. |
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Das war französisch, Bizet. Aber das mit den italienischen Opern interessiert mich, hakte sie nach, kann man das etwas genauer sagen? |
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Klar – bei Rossinis ‚Barbiere‘ möchte ich am liebsten tanzen, für Lucia di Lammermoors ‚Verrano a te‘ könnte ich mich wegschmeißen, wenn Leonora zu ‚D‘ amor sull‘ ali rosee‘ ansetzt, zerfließe ich im Parkett, bei ‚Casta diva‘ habe ich, obwohl hundertfach gehört, noch immer patschnasse Augen, und bei den Keuchhusten-Teilen hat mich meine frühere Freundin immer ermahnt, nicht zu laut mitzusingen, um die Aufführung nicht zu stören. |
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Keuchhusten-Teile? |
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‚La Bohème‘ und ‚La Traviata‘ – ich finde, wenn sich Mimi und Rodolfo bei ‚Ci lascieremo alla stagione dei fior!‘ mit den Stimmen umschlingen oder wenn Violetta mit ‚Croce e delizia‘ in den Äther aufsteigt: Wer da nicht den Verstand verliert, der hat keinen zu verlieren! |
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Lessing, ‚Emilia Galotti‘, sagte sie trocken. |
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Und jetzt erzähle ich Ihnen etwas, was ich bisher noch nie jemandem erzählt habe: Ein Leben lang träume ich schon davon, einmal eine Frau ansingen zu können: ‚Dammi il braccio, la mia piccina‘, und sie antwortet: ‚Obbedisco, signor‘ |
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‚Hold on tight to your dreams‘, zitierte sie leise singend ELOs Super-Hit von 1981, und ich fragte mich, woher sie ihn kannte, denn eigentlich war sie noch viel zu jung dazu. |
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Dabei sind ja die Bücher, nach denen manche Opern entstanden sind, mindestens ebenso reizvoll. |
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Wirklich? |
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Ja, sagte ich, und als ich Dumas‘ ‚Dame aux camélias‘, das für die ‚Traviata‘ als Vorlage diente, gelesen habe, da habe ich nachts auf meinem Bett heiße Tränen zerdrückt, als Marguerite – im Buch heißt die Violetta Marguerite Gautier – als Marguerite sich auf dem Fest so gedemütigt hat, um Armand Duval ihre Liebe zu beweisen. |
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Ächt? |
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Ja, und Murgers ‚Scènes de la vie de bohème‘ habe ich verschlungen, obwohl das Buch ja in vielem ganz anders ist als die Oper, über weite Strecken längst nicht so melodramatisch, sondern viel derber und robuster. |
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Stimmt, sagte sie, und als sie die Balkon-Szene aus Romeo und Julia nachspielen wollen, aber vor Hunger die Taube, die die Nachtigall sein sollte, einfach auffressen, da habe ich Tränen gelacht. |
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Irgendwo sagte es erneut laut rumms – ich war ihr zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten sehenden Auges ins offene Messer gerannt und saß da wie ein Quartaner, den man hinterrücks beim Onanieren erwischt hat. |
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Nehmen Sie‘s nicht so tragisch, tröstete sie mich, ich kann doch nichts dafür, daß ich auch mehr als nur ein Buch zu Hause habe. |
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Und Platten? Lieben Sie Musik auch so wie ich? |
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,Sie‘ ist Scheiße, unterbrach sie mich, und so alt bist du ja nun wohl auch noch nicht! |
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Ist mir sehr angenehm, aber ich habe mich nicht getraut, damit anzufangen. Duzen wir uns! |
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Sag‘ ich doch. Magst du Canaletto?, fragte sie, ohne auf meine Frage einzugehen. |
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Aber ja, seinetwegen wollt‘ ich sogar mal nach Venedig umziehen! Nein, im Ernst: Innerlich wohne ich irgendwo zwischen 17. und 19. Jahrhundert, auf so ’ner Art Achterbahn zwischen Rokoko und Romantik. Und du?. |
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Nicht ganz so heftig: Mit dem Standbein lebe ich im Hier und Jetzt, aber mit dem Spielbein ist mir deine Welt nicht ganz fremd. Saint-Saëns, Hölderlin, Mucha? |
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Am liebsten die ‚Havanaise‘, ‚Engelfreuden ahndend wallen wir hinaus auf Gottes Flur‘ und den Jahreszeiten-Zyklus, bestand ich das Examen summa cum laude und mit glühenden Wangen. |
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Ich war mir sicher, daß meine Augen glänzten, und ihre fingen inzwischen auch verhalten an zu strahlen wie die ersten Sterne nach dem Sonnenuntergang. 17 Fragen, noch vier, versuchte ich zu leugnen, daß ich mich ausgeliefert hatte wie die Spartaner an den Thermopylen, und eigentlich wunderte ich mich, daß noch keine unsichtbare Hand ein Wanderer, kommst du.... mit Flammenschrift an die weiße Kneipenwand geschrieben hatte. |
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Kino? |
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Immer, ist mein zweites Wohnzimmer. ‚The Deer Hunter‘ und ‚Gefährliche Liebschaften‘, ‚To Have and Have Not‘ und ‚Pulp Fiction‘, Rohmer, Altman und Polanski, Julchen Roberts, Kim Basinger, John Malkovich, Helena Bonham-Carter, und Robert de Niro sowieso, wann immer, wen auch immer und wie auch immer! |
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Die Basinger mag ich nicht, aber den Rest unterschreib‘ ich, sagte sie. |
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Hast du ‚Weiblich, ledig, jung sucht...‘ gesehen? |
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Ihre rechte Augenbraue zuckte leicht, aber unübersehbar. Irgendwas mußte ich falsch gemacht haben. Ich wußte nur nicht, was. |
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Nö, sagte sie obenhin, ich hab‘ die Kritiken gelesen, und da wußte ich, das geht mich nichts an. |
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Schade, war ’n toller Film. |
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Mag sein. Außerdem bin ich in der Beziehung altmodisch – für einen richtig schönen Liebesfilm kannst du dir alle modernen Seelendramen zusammen vors Knie nageln! |
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‚Pretty Woman‘? |
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Drei Packungen Tempos! |
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‚Zimmer mit Aussicht‘... |
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Tränen-Hardcore, als sie sagt: ‚Natürlich liebe ich ihn, was glaubt ihr denn alle!‘, seufzte sie mit schimmernden Augen. |
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Wie Goldie Hawn und Chevy Chase in ‚Eine ganz krumme Tour‘ minutenlang auf dem Hausboot umeinander rummachen, wo doch jeder weiß, daß sie sich gleich in die Arme fallen... |
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Und wenn‘s der Richtige wäre, glühte sie, dann könnt‘ ich, auch wenn es nicht Richard Gere ist, genauso wie dieses Honigkuchenpferd mit dem Breitwandmund in ‚Die Braut, die sich nicht traut‘ vor ihm knien und sagen: ‚Willst du mein Mann werden?‘ |
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Es gab zwei Möglichkeiten – entweder hemmungslos loszuflennen oder die letzten Reste eines mühsam erworbenen Erwachsenseins aus allen verfügbaren Ecken zusammenzukratzen. Ich entschied mich für die reifere Variante: |
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Gehen wir ins Kino?, fragte ich unvermittelt, im ‚Scala‘ gibt‘s den neuen Almodóvar, und wenn wir uns beeilen, schaffen wir noch die 18-Uhr-Vorstellung. |
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Warum nicht? Ich hab‘ heute abend sowieso nichts vor. Muß mir nur noch mal kurz die Nase pudern. |
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Der Kampf, der in mir tobte, als sie verschwunden war, war so kurz wie heftig und aussichtslos: Mit den vor schlechtem Gewissen zitternden Händen eines trockengelegten Alkoholikers nahm ich das oberste der zerknüllten Blätter vom Berg aus dem Aschenbecher, faltete es auseinander und strich es auf dem Tisch glatt. Die schöne, ebenmäßig-steile Handschrift stand in nahezu idealem Einklang mit ihrer Erscheinung, aber alles andere kriegte ich plötzlich nicht mehr auf die Reihe: Weiblich, ledig, 34, sucht kultivierten Mann mit Bildung und Herzensbildung, um mit ihm all das zu genießen, was das Leben erst lebenswert macht. Zuschriften unter KW: Lucy Honeychurch, las ich. Die Worte all das zu genießen, was das Leben erst lebenswert macht hatte sie fein säuberlich ausgestrichen und durch mit ihm zu träumen und die Träume zu leben ersetzt. |
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Na, bist du durch?, fragte mich Prinzessin spöttisch – ohne, daß ich es bemerkt hatte, war sie von der Toilette zurückgekommen und sah auf das Blatt Papier herunter, das ich noch immer in den Händen hielt und anstierte wie eine Zwölfjährige ihr erstes rotes Tampon. Wenn du fertig bist, können wir ja gehen, dann kriegen wir vielleicht sogar noch die Werbung in voller Länge mit. |
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Einen schönen Abend noch und beehren Sie uns bald mal wieder, ätzte uns Cindy hinterher, als wir den langen Schlauch auf die regennasse Straße hinaus verließen. Aber das hörte ich schon nicht mehr – wie auch, wenn sich eine Mimi auf Plateau-Sohlen mit einer Selbstverständlichkeit einhakt, als habe sie ihr Leben lang nichts anderes getan? 1999 |
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