Der doppelte Ritter

 

er nur stürzt die blonde Edwige derart in Trauer? Was sitzt sie abseits in einem Winkel, das Kinn in der Hand, den Ellbogen auf dem Knie, düsterer noch als die Verzweiflung selbst, bleicher noch als das Alabasterbild, das über einem Grabe weint? Eine schwere Träne rollt vom Winkel des Lids über die Pfirsich-Wange, eine nur, und versiegt doch nie. Gleich dem Tropfen in der Felsengrotte, der stetig rinnend den Stein höhlt, hat diese Träne, die ohne Unterlaß vom Auge auf ihr Herz fällt, es schon längst derart durchbohrt, daß es aufklafft.

Edwige, blonde Edwige, glaubt Ihr nicht mehr an Jesus Christus, den sanftmütigen Erlöser? Zweifelt Ihr an der Barmherzigkeit der allerheiligsten Jungfrau Maria? Warum gehen Eure durchscheinenden kleinen Hände, abgemagert und schmal wie die der Elfen und der Willis, immerfort in Euren Schoß? Ihr werdet Mutter, das war doch Euer höchster Wunsch: Einen Altar von massivem Silber und einen Abendmahlskelch aus feinstem Gold versprach Euer edler Gatte, der Graf Lodbrog, der Kirche Sankt-Euthbert, schenkt Ihr ihm einen Sohn.

Doch ach und aber ach! Die sieben Schwerter des Schmerzes haben der armen Edwige das Herz durchbohrt. Ein furchtbares Geheimnis lastet schwer auf ihrer Seele. Ein Fremder kam, einige Monate ist‘s her, aufs Schloß. Furchtbar war das Wetter in jener Nacht: Die Türme erzitterten bis ins Gebälk, die Wetterfahnen kreischten, das Feuer kroch zitternd durch den Kamin, und der Wind schlug ans Fenster wie ein ungelegener Gast, der Einlaß begehrt.

Schön wie ein Engel war der Fremde, wie ein gefallener Engel allerdings. Er blickte so sanft, wie er lächelte, und doch lähmten dieser Blick und dieses Lächeln das Herz vor Furcht und verbreiteten um sich die Angst, wie man sie über einem Abgrund fühlt. Eine arglistige Anmut, die tückische Schläfrigkeit des Tigers, der seine Beute belauert, lagen in all seinen Bewegungen, und sein Zauber war der der Schlange, die den Vogel bezaubert.

Der Fremde war ein Meistersinger, und seine gebräunte Haut verriet, daß er auch andere Breiten kannte. Er behauptete, aus dem tiefsten Böhmen zu kommen, und erbat Gastfreundschaft nur für diese eine Nacht.

Er blieb diese Nacht und weitere Tage und weitere Nächte, denn das Unwetter gab keinen Frieden. Das alte Schloß erbebte in seinen Grundfesten, als wollte der Sturm es entwurzeln und die Zinnenkrone fällen, um sie in den schäumenden Sturzbach zu stoßen.

Um das Wetter zu beschwören, sang er sonderbare Verse, die das Herz verwirrten und wilde Wünsche weckten. Ein schimmernder schwarzer Rabe, glänzend wie Jett, hockte auf seinen Schultern, wann immer er sang; der ebenholzschwarze Schnabel schlug den Takt, und sein Flügelschlag schien wie Applaus. Edwige wurde bleich, bleich wie die Lilie unter dem Vollmond, Edwige wurde rot, rot wie die Rose im ersten Morgenstrahl. Sie ließ sich zurücksinken in ihren tiefen Lehnstuhl, benommen, erschöpft und berauscht, als hätte sie den unheilvollen Duft jener Blumen geatmet, die den Tod bringen.

Endlich konnte der Meistersinger weiterziehen; ein kleines blaues Lächeln hatte soeben das Antlitz des Himmels aufgeheitert. Seit jenem Tage vergießt Edwige, die blonde Edwige, in der Nische am Fenster ihre nicht versiegenden Tränen.

Edwige ist Mutter geworden. Sie hat ein schönes Kind geboren, ganz Weiß und Rot. Der alte Graf Lodbrog hat beim Gießer den Altar von massivem Silber bestellt und dem Goldschmied tausend Goldstücke in einem Beutel aus Rentierhaut gegeben, daß er den Abendmahlskelch anfertige; groß wird er sein und schwer und Wein in Mengen fassen. Der Priester, der ihn dereinst leert, wird sich einen guten Trinker nennen können.

Das Kind ist ganz Weiß und Rot, doch es hat den dunklen Blick des Fremden: Das Auge der Mutter hat es sehr wohl erkannt. Ach, arme Edwige! Warum konntet Ihr Eure Augen nicht lassen von dem Fremden mit seiner Leier und seinem Raben...?

Der Schloßkaplan tauft das Kind in aller Eile; man nennt es Oluf, ein wahrhaft schöner Name! Der Sterndeuter steigt auf den höchsten Turm, ihm das Horoskop zu stellen. Kalt war die Luft und klar; wie die weißen, spitzen Zähne im Gebiß des Luchses schlugen sich die Gipfelzacken der schneebedeckten Berge in den Himmelssaum, wie Silbersonnen glänzten die großen, bleichen Sterne durch das stählerne Blau der Nacht.

Der Sterndeuter mißt den Sonnenstand und berücksichtigt das Jahr, den Tag und die Minute. Lange rechnet er mit roter Tinte hin und her auf dem großen Pergament, das über und über mit kabbalistischen Zeichen bedeckt ist; er geht zurück in seine Klause, steigt wieder hoch aufs Dach: Er hat doch keinen Fehler gemacht bei seinen Bestimmungen, seine Darstellung der Geburt ist so genau wie die Goldwaage, die Edelsteine wiegt. Dennoch rechnet er erneut: Ein Irrtum ist unmöglich – der kleine Graf Oluf steht unter einem doppelten Stern, der eine grün, der andere rot, grün wie die Hoffnung, rot wie die Hölle. Der eine kündet von Glück, der andere von Unheil. Ein Kind mit einem doppelten Stern – hat man je zuvor so etwas gesehen?

Mit ernstem, gemessenem Ausdruck tritt der Sterndeuter wieder in die Kammer der Wöchnerin, streicht sich mit der knochigen Hand durch den langen Magierbart und sagt: „Gräfin Edwige und Ihr, Graf Ladbrog, gleich zwei Einflüsse haben die Geburt Eures teuren Sohnes Oluf beherrscht, der eine gut, der andere schlimm. Er hat einen grünen Stern und einen roten und steht unter einem doppelten Aszendenten. Sehr glücklich wird er werden oder sehr unglücklich. Ob dies oder ob jenes, kann ich nicht sagen, vielleicht wird er sogar beides zugleich.“

„Der grüne wird ihm Leitstern sein“, erwiderte Graf Lodbrog dem Sterndeuter. Doch das Mutterherz Edwiges hatte Angst, es könnte doch der rote sein. Wieder stützte sie das Kinn in die Hand und den Ellbogen aufs Knie, wieder begannen in der Nische am Fenster ihre Tränen zu fließen. Hatte sie ihr Kind gestillt, so verbrachte sie die Zeit einzig damit, hinter der Scheibe zuzusehen, wie der Schnee in dicken, dichten Flocken fiel, so, als hätte man hoch im Himmel die weißen Flügel aller Engel und aller Cherubin auf einmal gerupft. Von Zeit zu Zeit flog ein Rabe krächzend am Fenster vorbei und schüttelte sich unter dem Silberstaub. Dann dachte Edwige an den sonderbaren Raben, der stets auf der Schulter des Fremden mit dem sanften Tigerblick und dem lähmenden Lächeln der Viper hockte, und schneller noch fielen die Tränen vom Auge auf ihr klaffendes Herz.

Der junge Oluf ist fürwahr ein seltsames Kind: Gleichsam zwei Kinder von völlig unterschiedlichem Wesen stecken in seiner kleinen weißen und roten Haut; einen Tag ist er lieb wie ein Engel, am nächsten böse wie ein Teufel, beißt der Mutter in die Brust und zerkratzt dem Kindermädchen mit den Nägeln das Gesicht.

Der alte Graf Lodbrog lächelt unter seinem grauen Schnurrbart. Oluf, sagt er, werde einen guten Soldaten abgeben, er habe Kampfgeist. Tatsache ist, daß Oluf ein unausstehlicher kleiner Drollkopf ist: Bald weint er, dann lacht er wieder, hat Launen wie der Mond, Grillen wie eine Frau, rennt hierhin und dahin, bleibt plötzlich – scheinbar völlig ohne Grund – auf der Stelle stehen, läßt, was er angefangen hat, liegen und verfällt von wildester Toberei in völlige Ruhe. Obwohl allein, scheint er sich mit einem unsichtbaren Gegenüber zu unterhalten! Gefragt nach dem Grund all der Unrast, erklärt er, der rote Stern treibe ihn um.

Fünfzehn Jahre wird Oluf bald und sein Wesen immer unergründlicher. Obgleich makellos hübsch, sind doch seine Züge verwirrend – blond ist er wie seine Mutter und zeigt all die Merkmale des nordischen Geschlechts. Doch unter der unverkennbar uralten Lodbrogschen Stirn, die weiß ist wie der Schnee, der noch keine Spur vom Ski des Jägers gesehen und den noch keine Bärentatze befleckt hat, funkelt zwischen zwei rötlich-gelben Lidern ein Auge unter langen schwarzen Wimpern, ein jettschwarzes Auge, in dem das fahlrote Feuer mediterraner Leidenschaft lodert, ein Samtblick, grausam und so trügerisch sanft wie der des Meistersingers aus Böhmen.

Wie doch im Fluge die Monate enteilen, und schneller noch die Jahre! Jetzt ruht Edwige unter dem düsteren Gewölbe der Lodbrogschen Gruft, Seite an Seite mit dem alten Grafen, der im Sarge noch lächelt vor Freude, nicht erleben zu müssen, daß sein Geschlecht ausstirbt. So bleich war Edwige bereits, daß der Tod sie kaum noch verändert hat. Eine schöne Statue schmückt hingestreckt ihr Grab, die Hände gefaltet und zu Füßen eine Windhündin aus Marmor, die treue Begleiterin der Entschlafenen. Niemand kennt die Worte Edwiges in ihrer letzten Stunde, doch der Priester, der ihr die Beichte abnahm, wurde bleicher noch, als es die Sterbende schon war.

Oluf, der dunkelhäutig-blonde Sohn der gramgebrochenen Edwige, ist mittlerweile zwanzig Jahre alt. In jeder Ritterpflicht zeigt er sich höchst geschickt: Mit dem Bogen geht niemand besser um als er; er spaltet sogar noch den Pfeil, der sich soeben zitternd mitten ins Ziel gebohrt hat; ohne Zaum und ohne Sporen zähmt er selbst die widerspenstigsten Pferde.

Auf keine Frau und auf kein Mädchen hat er je ohne böse Folgen sein Auge geworfen; keine von denen, die ihn geliebt haben, ist je glücklich geworden. Die unglückselige Zerrissenheit seines Wesens verwehrt ihm jede innige Verbindung mit einer Frau. Nur die eine Hälfte seiner Seele vermag Leidenschaft zu fühlen, die andere empfindet Haß; zu Zeiten beherrscht ihn der grüne Stern, zu Zeiten wieder der rote. „Oh, ihr weißen Jungfrauen des Nordens, strahlend und rein wie die Gletscher am Pol! Ihr Augensterne wie Mondschein! Ihr Wangen, gefärbt von der Frische des nördlichen Morgens!“, hört man ihn den einen Tag rufen, doch am nächsten schon jauchzt er: „Oh, ihr Töchter Italiens, vergoldet von der Sonne und hell wie die Orange! Ihr flammenden Herzen in bronzener Brust!“ Das Traurigste freilich ist, daß er stets beide Beteuerungen gleich ernst meint.

Ach! Ihr Untröstlichen, traurig wehrufende Schemen, ihr erhebt nicht einmal anklagend eure Stimmen gegen ihn, denn ihr wißt, er ist unglücklicher noch als ihr selbst. Sein Herz ist ein Schlachtfeld, das die Tritte zweier unbekannter Krieger unaufhörlich verwüsten, und jeder sucht, wie einst Jakob mit dem Engel rang, den Feind in die Knie zu zwingen. Ginge man auf den Friedhof, so fände man unter den großen, gezackten Samtblättern der Königskerze und unter dem Asphodelos mit seinen Zweigen von ungesundem Grün, zwischen dem tauben Hafer und den Brennesseln gar manchen vergessenen Grabstein, auf den einzig der Morgentau noch seine Tränen weint. Mina! Dora! Thekla! Ob die Erde wohl schwer auf eurem zarten Busen und auf eurem Leib voll Anmut lastet?

Eines Tages ruft Oluf Dietrich, seinen treuen Knappen, und heißt ihn sein Pferd satteln. „Herr, seht doch nur, wie der Schnee fällt, wie der Wind pfeift und die Tannenwipfel bis auf den Boden biegt. Hört Ihr nicht, wie in der Ferne die abgemagerten Wölfe heulen wie und die Rentiere im Todeskampf schreien wie die Seelen im Fegefeuer?“

„Dietrich, mein treuer Knappe, den Schnee werde ich abschütteln wie eine Feder, die auf den Mantel fällt, und unter den gebeugten Tannen werde ich hindurchreiten und nur den Federbusch meines Helms ein wenig neigen. Die Wölfe aber werden sich ihre Krallen stumpf schlagen an dieser vorzüglichen Rüstung, und dem armen Rentier, das jammert und heiße Tränen weint, werde ich mit der Spitze meines Schwertes unter dem Eis das frische und blühende Moos, an das es selbst nicht kommen kann, hervorkratzen.“

Graf Oluf von Lodbrog, denn das ist sein Titel seit dem Tod des alten Grafen, bricht auf auf seinem trefflichen Pferd; Murg und Fenris, die beiden riesigen Hunde, begleiten ihn. Auf den jungen Herrn mit den rötlich-gelben Lidern wartet nämlich ein trautes Treffen, und vielleicht sucht schon jetzt das junge Fräulein, das sich, der Kälte und dem Nordostwind trotzend, über den Rand des verzierten Balkons beugt, unruhig von der Höhe des kleinen, spitzen Pfefferstreuer-Türmchens aus den Federhelm des Ritters vor der weißen Weite der Ebene auszumachen.

Auf seinem stattlichen Pferd mit seiner elefantenmächtigen Gestalt, dem er die Sporen immer wieder in die Flanken schlägt, dringt Oluf durch das flache Land vor. Er überquert den See, aus dem die Kälte einen einzigen Eisblock gemacht hat, in dem die Fische mit gestreckten Flossen wie Fossilien im Marmor eingeschlossen sind. Die vier gezackten Hufeisen des Pferdes beißen sich tief in der harten Eisschicht fest. Dampf von Schweiß und Atemhauch hüllt Oluf ein und zieht ihm hinterher. Wie in einer Wolke galoppiert er, während Murg und Fenris, die beiden Hunde, zu beiden Seiten ihres Herrn, Fabeltieren gleich, aus blutigen Nüstern heißen Dunst in langen Stößen schnauben.

Schon sind sie am Tannenforst. Wie Gespenster breiten die Bäume ihre von weißen Decken beschwerten Arme aus, und die jüngsten und die biegsamsten krümmt das Gewicht des Schnees: Eine Galerie aus Silberbögen, könnte man meinen. Die schwarze Furcht ist zu Hause in diesem Wald, in dem die Felsen Ungeheuer vorgaukeln und jeder Baum mit seinen Wurzeln einen Bau schlummernder Drachen zu behüten scheint. Doch Furcht ist Oluf fremd.

Mehr und mehr verengt sich der Weg, die armseligen Zweige der Tannen verschlingen sich zu einem unentwirrbaren Geflecht; kaum, daß die wenigen Lichtungen einmal den Blick freigeben auf die schneebedeckte Hügelkette, die sich in weißen Wellen vor dem schwarztrüben Himmel abzeichnet. Gottlob ist Mopse ein kraftstrotzendes Streitroß, das nicht einmal unter der Last des Riesen Odin einknicken würde. Kein Hindernis hält es auf; es springt über Felsblöcke, setzt über Loch und Grube und schlägt aus den Kieseln, die seine Hufe dann und wann unter dem Schnee treffen, eine Garbe von auf der Stelle wieder verlöschenden Funken.

„Vorwärts, Mopse, tapfer! Nur noch über die kleine Ebene und durch das Birkenwäldchen, dann wird eine hübsche Hand deinen Seidennacken streicheln, und in einem wohlig warmen Stall warten geschälte Gerste und Hafer im Überfluß auf dich.“

Das Birkenwäldchen: Was für ein zauberhafter Anblick! Ein Pelz aus Reif hüllt wie Watte alle Zweige ein, selbst die kleinsten Ästchen zeichnen sich weiß vor dem dunkelnden Himmel ab: Einen riesigen, aus feinstem Draht geflochtenen Korb, Korallenarme aus Silber, eine Höhle mit all ihren Tropfsteinzapfen möchte man es nennen. Die Verästelungen und bizarren Blumen, die der Frost auf Fenster zaubert, bilden keine verschlungeneren und vielfältigeren Muster.

„Wie spät Ihr kommt, Herr Oluf! Ich fürchtete schon, der Bergbär habe Euch den Weg versperrt oder die Elfen hätten Euch zum Tanz geladen“, sagt das junge Schloßfräulein und läßt Oluf Platz nehmen im Eichensessel in der warmen Geborgenheit am Kamin. „Doch warum bringt Ihr einen Begleiter mit zu einem Stelldichein? Hattet Ihr etwa Angst, den Wald ganz allein zu durchqueren?“

„Von welchem Begleiter beliebt es Euch zu sprechen, Ihr Blume meines Herzens?“, entgegnet Oluf dem jungen Schloßfräulein voller Überraschung.

„Von dem Ritter mit dem roten Stern, den nie Ihr von der Seite laßt, von dem, der den Blick des böhmischen Sängers zum Vater hat, von dem unseligen Geist, der Euch beherrscht. Macht Euch frei von dem Ritter mit dem roten Stern, sonst werde ich nie Eure Liebesschwüre erhören. Die Frau von zwei Männern zugleich kann ich nicht sein.“

Was Oluf auch tat, was er auch sagte, nicht einmal den rosenfrischen kleinen Finger von Brendas Hand zu küssen gelang ihm noch. Äußerst verstimmt ritt er zurück, entschlossen, den Ritter mit dem roten Stern zum Kampf zu stellen, sollte es ihm vergönnt sein, ihn zu treffen.

Dem schroffen Empfang zum Trotz, den Brenda ihm bereitet hatte, machte sich Oluf am nächsten Tag erneut auf zum Schloß der Pfefferstreuer-Türmchen: So einfach geben Liebende nicht auf. „Brenda muß den Verstand verloren haben“, sagte er im Reiten zu sich selbst, „und was meint sie mit ihrem Ritter mit dem roten Stern?“

Der Sturm war wild wie selten, und das Schneetreiben verwischte die Grenze zwischen Himmel und Erde. Über Olufs Helmbusch kreiste unheilkündend ein spiralenförmiger Schwarm von Raben und ließ sich auch vom Gebell der beiden Hunde nicht abschrecken, die hochsprangen und nach ihnen zu schnappen suchten. An der Spitze flog der wie Jettkohle glänzende Rabe, der auf der Schulter des Sängers aus Böhmen den Takt geschlagen hatte.

Plötzlich blieben Fenris und Murg stehen und schnupperten mit bebenden Nasen unruhig in die Luft: Sie witterten die Nähe eines Feindes, eines Feindes, der etwas ganz anderes war als ein Wolf oder ein Fuchs, denn ein Wolf und ein Fuchs wären gerade eben ein Bissen für diese wackeren Hunde gewesen.

Getrappel wird laut, und kurz darauf taucht an einer Wegbiegung ein Ritter mit einem stattlichen Pferd auf, gefolgt von zwei riesigen Hunden. Jedermann hätte ihn für Oluf gehalten. Die Rüstung glich der seinen bis aufs Haar, der Überwurf war mit dem gleichen Wappen verziert, und einzig auf dem Helm trug er eine rote Feder statt der grünen. Der Weg war derart schmal, daß einer der beiden Reiter weichen mußte. Das Visier des Ritters war heruntergelassen. „Mir aus dem Weg, Herr Oluf, damit ich vorbei kann“, forderte er, „die Reise, die ich mache, ist lang, ich werde erwartet, und es wird höchste Zeit, daß ich komme.“

„Beim Schnurrbart meines Vaters, an Euch wird‘s sein, mir Platz zu machen. Ich reite zu einem Stelldichein, und Verliebte haben keine Zeit“, entgegnete Oluf, während er zugleich die Hand auf den Knauf seines Schwertes legte. Der Unbekannte zückte das seine, und der Kampf begann. Die Schwerter prallten auf die Panzerringe und ließen aus dem Stahl die Funken in Garben stieben; obwohl von außerordentlicher Härte, waren sie bald schon so schartig wie Sägen. Im Dampf ihrer Pferde und dem Dunst ihres Atems boten die beiden Recken ein Schauspiel wie zwei schwarze Schmiede, die wild das rotglühende Eisen behauen. Nicht minder im Zorn als ihre Herren, schlugen sich die beiden Pferde die gebleckten Zähne gegenseitig in die prallgeäderten Hälse und rissen sich Fetzen aus der Brust. Wild fuhren sie in Sprüngen empor, erhoben sich auf die Hinterbeine und droschen, wobei sie die Hufe wie geballte Fäuste gebrauchten, entsetzlich aufeinander ein, während die Reiter über ihre Köpfe hinweg ihren Kampf mit der furchtbaren Gewalt von Hammerschlägen austrugen und die Hunde nur noch ein Beißen und ein Heulen waren.

Blut sickerte zwischen den übereinander liegenden Ringen der Rüstungen hervor, tropfte lauwarm in den Schnee und hinterließ dort kleine rötliche Löcher. So schnell und so dicht fielen die Tropfen, daß man schon nach wenigen Augenblicken hätte meinen können, ein Sieb zu sehen. Beide Ritter waren verwundet. Und seltsam: Oluf spürte die Hiebe selbst, die er dem unbekannten Ritter versetzte, erlitt gleichermaßen die Verletzungen, die er zufügte, wie die, die ihm zugefügt wurden; als sei ein Eisen eingedrungen und suche das Herz, so hatte er eine eisige Kälte in der Brust wahrgenommen, und doch war sein Harnisch über dem Herzen unversehrt: Seine einzige Blessur war eine Fleischwunde am rechten Arm. Ein eigenartiger Zweikampf, in dem der Sieger ebenso litt wie der Besiegte, in dem Austeilen und Einstecken keinen Unterschied machten!

Oluf nahm alle Kraft zusammen und hieb mit einem Schlag von unten her den furchtbaren Helm seines Gegners hoch in die Luft. Oh Graus, was mußte der Sohn Edwiges und Lodbrogs sehen? Er hatte sich selbst vor Augen: Ein Spiegel hätte nicht unbestechlicher sein können. Er hatte gegen sein eigenes Gespenst gekämpft, den Ritter mit dem roten Stern. Das Gespenst stieß einen lauten Schrei aus und verschwand. Der spiralförmige Rabenschwarm hob sich wieder in den Himmel empor, und der wackere Oluf setzte seinen Weg fort.

Bei seiner Heimkehr zum Schloß führte er am Abend hinter sich auf dem Roß das junge Schloßfräulein mit, das ihn dieses Mal nur zu gern erhört hatte. Nun, da es den Ritter mit dem roten Stern nicht mehr gab, hatte es beschlossen, mit seinen Rosenlippen Oluf jenes Geständnis ins Herz zu senken, das soviel Überwindung kostet. Blau und klar war die Nacht, Oluf hob den Kopf, um seinen Doppelstern zu suchen und ihn seiner Braut zu zeigen: Nur noch der grüne strahlte, der rote war verschwunden.

Außer sich vor Glück über dieses Wunder, das sie der Liebe zuschrieb, entdeckte Brenda dem jungen Oluf bei der Ankunft auf dem Schloß, daß, als sichtbarer Ausdruck einer überirdischen Aussöhnung, aus dem Jettschwarz seiner Augen ein strahlendes Azurblau geworden war. Darüber höchst erfreut, lächelte der alte Lodbrog in der Tiefe seines Grabes unter seinem weißen Schnurrbart, denn auch, wenn er sich nie etwas hatte anmerken lassen, so hatten ihn Olufs Augen in Wahrheit doch dann und wann nachdenklich gestimmt. Der Schatten Edwiges ist außer sich vor Freude, denn am Ende hat der Nachkomme des edlen Herrn Lodbrog doch den unseligen Einfluß von rötlich-gelbem Auge, schwarzem Raben und rotem Stern besiegt: Der Mensch hat den Inkubus niedergerungen.

Diese Geschichte zeigt, wie ein einziger Augenblick des Selbstvergessens, ein Blick selbst voller Unschuld Wirkung haben kann. Ihr jungen Frauen, werft nie ein Auge auf Meistersinger aus Böhmen, die diabolische und betäubende Verse singen. Ihr jungen Mädchen, traut keinem außer dem grünen Stern; und ihr, die ihr das Unglück habt, doppelt zu sein, kämpft tapfer gegen den Widersacher in euch, den Ritter des Bösen, solltet ihr dabei auch auf euch selbst einschlagen und euch mit dem eigenen Schwert verwunden müssen.

Ihr wollt wissen, wer uns diese Legende aus Norwegen herüber gebracht hat? Ein Schwan war es, ein schöner Vogel mit gelbem Schnabel, der den Fjord halb schwimmend und halb durch die Luft überquerte.

   

 

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